107 SPITZPÜNTE HELENE

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Spitzpünte Helene

Aus der Geschichte:

Kapitän Alexander Kiepe (geb. 1831) ließ 1890 auf der Werft Bernhard Sibum die Spitzpünte „HELENE“ bauen, die für größere Seereisen eingesetzt werden sollte. Da auf den Harener Werften nur Schiffe bis 150 t gebaut worden waren, musste ein auswärtiger Schiffbaumeister hinzugezogen werden, der über genügend Erfahrung im Bau größerer Segler verfügte. Laut Eintragung im Staatsarchiv Aurich wurde der sachkundige Schiffbaumeister Ontjes aus Leer mit dem Bau beauftragt. Er lieferte die Zeichnungen und leitete die Ausführung.

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Alexander Kiepe

Wegen der enorm hohen Belastungen auf dem offenen Meer erhielten der Schiffsboden und die Seitenwände 2 cm stärkere Bohlen als bei der Emspünte. Sie waren dann 10 bzw. 8 cm stark. Der Schiffsrumpf wurde zudem höher gebaut, um so eine größere Tauchtiefe und mehr Freibord zu erhalten. Weiterhin forderte die Verwendung umfangreicher Eisenteile am Schiff dem örtlichen Schmiedehandwerk nicht unerhebliche Arbeitsleistungen und hohes handwerkliches Können ab.

Als Bauwert der „HELENE“ wird in verschiedenen Ouellen die Summe von 30.000 Goldmark genannt. Im Vergleich der Kosten für ähnlich ausgestattete Papenburger Schiffe, scheint sie jedoch etwas zu hoch angegeben zu sein. Dass ihr Bau jedoch außergewöhnliche Kosten verursachte und deswegen zur Finanzierung u. a. auch fremde Hilfe in Anspruch genommen wurde, geht aus den Unterlagen im Staatsarchiv hervor. Zudem wird erzählt, dass für den Bau dieser Spitzpünte dreimal so viel Holz verwendet worden sei als für eine Emspünte, die ca. 8.000 Goldmark kostete.

Nach einem Jahr Bauzeit wurde die „HELENE“ im März 1891 zu Wasser gelassen.

In den Quellen und Schiffsregistern wurde die „Gattung und Takelung“ des Seglers sehr unterschiedlich klassifiziert. Im Verzeichnis des Germanischen Lloyd wechselte sie von Galeasse zu Ewer und Schoner, während Hans Szymanski sie als Spitzpünte bezeichnete. Großtopp mit loser Stenge, Großsegel und Gaffeltoppsegel, Rah für Breitfock, Besanmast mit Besan und ein Bugspriet mit Klüverbaum für drei oder vier Vorsegel waren wesentliche ­Elemente der Takelage. Zunächst war die „HELENE“ auch mit Seitenschwertern ausgerüstet, die aber bereits bei der Drehbrücke in Rhede an Deck gehievt wurden, weil der Segler für die Durchfahrt zu breit war.

Mit der „HELENE“ wurden zunächst kleinere Küstenfahrten im Rahmen ihrer Klassifizierung durchgeführt. In dieser Zeit wird auch ein Schiffs-Chronometer im Register nicht vermerkt, der für Atlantikfahrten notwendig war. Im Jahre 1893 wäre der Segler beinahe verloren gegangen. Auf einer Reise von Antwerpen nach Friedrichstadt mit einer Ladung Phosphatmehl sprang das Schiff in einem schweren Novembersturm leck und musste von der Besatzung verlassen werden. Der Lotsenschoner „BREMEN“ bemerkte in der Nacht vom 7.11.1893 die Notsignale und konnte Kapitän Kiepe und seine völlig erschöpften Männer aus ihrem kleinen Boot übernehmen. Am anderen Morgen wurde die noch treibende „HELENE“ gefunden und die Lotsen machten sofort Versuche, das Schiff in Sicherheit zu bringen. Unter Lebensgefahr gelang es schließlich den Segler nach Bremerhaven zu bringen.

Bald darauf entschloss sich Kapitän Hermann Kiepe in die brasilianische Küstenfahrt zu gehen, denn sein Schiff war aufgrund des geringen Tiefgangs auch für die gewinnbringende Rio-Grande-Fahrt geeignet. Mit der ersten Atlantik­über­querung wurde Stückgut von Hamburg nach Rio Grande in Südbrasilien gebracht. An Bord waren der Kapitän Hermann Kiepe (Sohn von Alexander Kiepe), der Steuermann Georg Schöpfer aus Westrhauderfehn, ein Matrose aus Papenburg und drei abenteuerlustige junge Männer, Söhne begüterter Eltern, die die Glückssuche in Brasilien dem Studium vorzogen. Für die Überfahrt zahlten sie dem Kapitän je 400 Mark.

Maria Kiepe

Maria Kiepe, geb. Schepers vor der Reise nach Brasilien
Foto: Maria Husmann

Die Überfahrt verlief glatt, aber kurz vor Rio Grande geriet das Schiff in einen der gefürchteten brasilianischen Stürme, dem Pampero. Die Masten der Spitzpünte wurden zum Teil stark beschädigt.

Als die glückliche Überfahrt in Haren gemeldet wurde, beschlossen die Braut des Kapitäns, Maria Schepers, und sein 18-jähriger Bruder Bernhard Kiepe, Nordstraße, der „HELENE“ mit dem Passagierdampfer „ANTONIA“ nachzureisen, die inzwischen mit Frachten verschiedene brasilianische Häfen anlief. Die Harener erreichten die Spitzpünte in Porto Allegre: eine Stadt, die zwei Tagesreisen von Rio Grande entfernt liegt. Hier heirateten am 15.06.1896 Kapitän Kiepe und seine Braut Maria Schepers; dort wurde auch die älteste Tochter Helene Kiepe geboren.

Anschließend wurde das Schiff monatelang an den Küsten Südamerikas eingesetzt. Siebzig Tage dauerte die Fahrt mit einer Ladung getrocknetem Fleisch von Pelotas nach Pernambuco. Da das Fleisch mit kleinen Waagen ausgewogen wurde, zog sich das Entladen über achtzig Tage hin.

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Erlaubnis zur Führung  eines Schiffes in brasilianischen Gewässern aus dem Jahre 1899;
ausgestellt von der „Schule für Maschinisten und  Seeoffiziere“ in Belem
Bildvorlage: Heinrich Schepers

Nach einigen Monaten segelte die „HELENE“ mit einer Fracht Felle, Knochen und Büffelhörnern zum zweiten Mal über den Ozean, von Pelotas nach Hamburg. Diese Reise verlief voller Dramatik. Nach fünfzig Tagen bemerkte die Besatzung, dass sich einige Zinkplatten vom Schiffsrumpf gelöst hatten und Seewasser durch die von tropischen Bohrwürmern gefressenen Löcher in den Laderaum eindrang. Wegen der Fracht war es unmöglich, die schadhaften Stellen auszubessern. „Pumpen of versupen“ lautete jetzt für achtzig Tage die Losung der Besatzung. Teilweise bis zu den Hüften im Wasser stehend pumpten die Männer um ihr Leben. Dreimal wurde der Entschluss gefasst, das Schiff aufzugeben, doch sobald wieder günstiger Wind aufkam, wurde dieser Gedanke fallen gelassen. Die Situation spitzte sich aber zu, als die Vorräte immer knapper wurden und das Trinkwasser rationiert werden musste.

Endlich, nach insgesamt 130 Tagen Fahrt, hatten die Strapazen ein Ende und die „HELENE“ konnte Falmouth in Südengland anlaufen. Die Ladung wurde gelöscht.

Nach einer gründlichen Instandsetzung des Schiffes unternahm Kapitän Hermann Kiepe mit der „HELENE“ schon bald die dritte Reise über den Atlantik. Er transportierte von Spanien aus Salz nach Rio Grande. Auch diese Reise war nicht ohne Gefahren. Bei Madeira gerieten das Schiff und die Mannschaft in ein schweres Unwetter, bei dem sie den sicheren Tod vor Augen hatten. Aber schließlich wurde das Ziel Rio Grande innerhalb von nur 80 Tagen sicher erreicht.

Jahrelang folgten danach Küstenfahrten in Brasilien. Während dieser Zeit überquerte das Schiff noch einmal den Atlantik und brachte eine Ladung Felle nach Antwerpen. Anschließend segelte er wieder nach Brasilien zu­rück.

Nach ca. zehn Jahren Brasilienfahrt mit insgesamt fünf Atlantiküberquerungen verkaufte Kapitän Hermann Kiepe im Jahre 1904 die „HELENE“ an eine brasilianische Firma und reiste vermutlich mit einem Passagierdampfer nach Hamburg zurück, um sich dort ein größeres Schiff zu kaufen.

Hermann Kiepe

Kapitän Hermann Kiepe mit Ehefrau Maria, geb. Schepers
Foto: Heinrich Schepers

Er hatte die Absicht sich einen Schoner bauen zu lassen, doch aufgrund seiner Krankheit gab er bei der Werft Woertelboer in Westerbroek mit der „MARIA“ ein eisernes Segelschiff mit zwei Seitenschwertern für die deutsche Küstenfahrt in Auftrag. Bereits nach kurzer Zeit wurde das Schiff aber zu einem Motorsegler umgebaut.

Die Fahrten der „HELENE“ zeigen den Wagemut und die Abenteuerlust Harener Seeleute. Es war nicht selbstverständlich mit einem Schiff solcher Größe den Atlantik zu überqueren. Dabei erwies sich die solide Konstruktion des Seglers als ein wichtiger Baustein für das Überleben auf See. Nicht alle Fakten lassen sich mehr eindeutig belegen, denn viele Dokumente sind während der Kriegswirren verloren gegangen.

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